"Das
Richtige zu treffen, die richtige Farbe,
die
richtige Form, das richtige Wort ..."
Ich bin 1942 in Hannover geboren,
aufgewachsen also in Kriegs- und Nachkriegszeiten, die für mich
mit der Erfahrung von Wohnungs- und Raumverlust verbunden sind. Als
Kind habe ich viel gezeichnet und gemalt und meine Zensuren im Kunstunterricht
waren immer besonders gut. Ich sollte einen "ordentlichen"
Beruf erlernen und so habe ich nach der Realschule eine Ausbildung zur
Technischen Zeichnerin im Maschinenbau begonnen. Danach habe ich bei
der "Schweizerischen Bauzeitung" in Zürich gearbeitet,
dem Organ der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Während
dieser Zeit hatte ich viel mit Architekten und Druckereien zu tun und
habe etwas Einblick in die Arbeit von Grafikern bekommen. In meiner
Freizeit besuchte ich Kurse für Portrait- und Aktzeichnen und für
Freie Malerei. Ich war so fasziniert sowohl von den für mich neuen
Arbeitsgebieten als auch von den künstlerischen Möglichkeiten,
die ich für mich erkannte, dass ich nicht dauerhaft als Technische
Zeichnerin arbeiten wollte. Ich bewarb mich an der Werkkunstschule in
Hannover für die Klasse Innen-architektur und wurde angenommen.
Als ich das erste richtige Atelier gesehen hatte, wusste ich: So will
ich leben. Große Dachfenster, viel Licht, ganz viel Platz, großer
Tisch, Konzentration auf das, was für die Malerei gebraucht wird.
Wichtig nicht mehr die Frage: Was kosten die Brötchen, sondern:
Welche Brillanz hat die Farbe.
Im vierten Semester heiratete ich
meinen Freund, der in Berlin studierte, und bekam eine Tochter. Mit
Hilfe des familiären Umfeldes hatte ich die Möglichkeit, mein
Studium fortzuführen. Mein Studium nicht abzubrechen war eine meiner
wichtigsten Entscheidungen. Bis zum fünften Lebensjahr unserer
Tochter blieb ich in Hannover, war quasi Alleinerziehende, und habe
für verschiedene Architekturbüros ziemlich erfolgreich Wettbewerbe
gezeichnet.
Mit der Einschulung
unserer Tochter sind wir beide nach Berlin gezogen, in einen großen
Altbau, in dem viele Studenten wohnten, die unterschiedliche Wohn- und
Lebensformen ausprobierten. Alle zusammen haben unsere Tochter mit groß
gezogen. In Berlin war es schwierig, eine Festanstellung zu finden.
Ich habe allerdings keine zu große Energie in die Stellensuche
gesteckt, sondern habe mich begeistert der Studentenbewegung angeschlossen.
Da es an der Freien Universität einen herausragenden Professor
für Soziologie gab, dessen Texte ich bereits in der Schweiz kennengelernt
hatte, studierte ich Soziologie mit Schwerpunkt Stadtentwicklung, ein
Thema, das seit der "68er Studentenrevolution", hoch brisant
war und mich mit den aktiven politischen Gruppierungen in Verbindung
brachte.
Kurz nach meinem Examen 1978 hatte
mein Mann seine Referendarzeit beendet und fand eine Anstellung als
Lehrer in Bonn. Wir zogen um und lebten in einer Wohnung als Kleinfamilie,
für mich eine ungewohnte Situation. Da ich mit meinem Berliner
Soziologie-Diplom in Bonn keine Stelle fand, habe ich versucht, mit
Seminaren und Ausstellungen von Wohnmodellen in der Erwachsenenbildung
zum Thema "Frauen wohnen" meine Identität als selbstständige
Frau zu erhalten, eigenes Geld zu verdienen und mich gleichzeitig mit
meiner eigenen Wohn- und Lebenssituation auseinander zu setzen. Sehr
bald bin ich zu der Gruppe "Frauen formen ihre Stadt", damals
sieben Frauen unter Leitung von Marianne Pitzen, gestoßen, die
sich Stadtentwicklung aus Frauensicht zum Thema machten. Wir haben gemeinsam
im Krausfeld einen alten Supermarkt besetzt. Wir Frauen wollten Ausstellungsfläche
haben, wollten dem etablierten Kunstbetrieb etwas entgegensetzen. Heute
ist dort das Bonner Frauenmuseum. Einige Jahre habe ich in dieser Gruppe
aktiv mitgearbeitet, auch Ausstellungen mitbestückt. Damals habe
ich beispielsweise das Environment "Lebensräume" ausgestellt
und Texte geschrieben, die sich mit den herkömmlichen Wohnungen
beschäftigten, dem Fehlen von eigenen Räumen für Frauen
und der Nichtanerkennung von Versorgungsarbeit als Arbeit.
1982 suchte die Stadt Jülich eine Sozialplanerin. Die Arbeit war
auf zwei Jahre befristet und ich nahm sie an. Ich wurde, was die Familie
betrifft, Wochenendreisende; unsere Tochter blieb in Bonn bei ihrem
Vater. Als Jülich 1986 eine Gleichstellungsstelle einrichtete,
bewarb ich mich, wurde eingestellt und arbeitete dort bis 1991. Dann
wechselte ich in das Frauenbüro der Stadt Aachen, weil ich dort
Möglichkeiten hatte, das Fachgebiet "Stadtentwicklung, Wohnen,
Verkehr für Frauen" zu entwickeln. Es reizte mich sehr, Innenarchitektur
und Soziologie zu verbinden und mich gleichzeitig als Gleich-stellungsbeauftragte
für die Durchsetzung räumlicher Anforderungen von Frauen einzusetzen
und auf bauliche Veränderungen in der Stadt Einfluss zu nehmen.
Im Sommer 2003 werde ich meine Tätigkeit im Frauenbüro beenden.
Der Beruf war nicht nur Auftrag, sondern Berufung - die Inhalte gehören
zu meiner Identität. Schreibwerkstatt, Lesungen oder Ausstellungen
von Bildern und Objekten habe ich nicht nur organisiert, sondern mich
als Gestaltende beteiligt, um andere zu ermutigen, Gesicht zu zeigen,
sich zu öffnen. Gleichzeitig habe ich mir selbst Lehrer gesucht,
um meine Malerei weiterzuentwickeln. Parallel dazu habe ich angefangen,
Gedichte zu schreiben. Das Richtige zu treffen, die richtige Farbe,
die richtige Form, das richtige Wort, gibt mir Klarheit. Wenn ich etwas
geschrieben habe, fällt es von mir ab.
Auf dem Dachboden über meiner
Wohnung habe ich mir in diesem Jahr ein Atelier eingerichtet: Große
Dachfenster, viel Licht, ganz viel Platz, großer Tisch. Wenn sich
in meinem Kopf etwas besonders verdichtet, kann ich hinaufgehen und
malen, Objekte bauen oder schreiben. Da oben ist eine andere Welt mit
einem anderen Ich.
Gedichte: Natürlich,
Für mich, Vielleicht
Kontakt: Kirsten Müller-Lehnen, 0 24 61 / 21 29,
kimuleh@aol.com
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