Das Bergbaumuseum in Aldenhoven – Schatzkammer voller Geschichten

von Thomas Langens

August 2002, Ortstermin Bergbaumuseum Aldenhoven. Ich habe mich mit Theodor Ackert zu einer Privatführung verabredet. Herr Ackert war früher selbst Bergmann und kann daher heute als ehrenamtlicher Museumsführer aus erster Hand über die Arbeit unter Tage berichten.

Versteckt in der Dietrich-Mülfahrt-Straße finde ich die Zufahrt zum Museum. Ein großer Bogen weist den Weg zum Eingang.

Von außen sieht das Gebäude eher aus wie eine Scheune. Ich trete ein und erfahre von Herrn Ackert sogleich, daß der Bau in der Tat mal eine Scheune war. Die Mitglieder des "Bergmännischen Traditionsvereins für Stein- und Braunkohle 1992 e.V." haben sie in den letzten Jahren mit viel Liebe und großem zeitlichen Engagement als Museum hergerichtet und mit tausenden originalen Ausstellungsstücken aus der Welt der Bergbaus ausgestattet.

In ein paar Meter Höhe hängen an einem Balken quer durch den Raum Dutzende Kleidungsstücke. Hm, denke ich, da werden sie wohl im Museum keinen anderen Platz zum Aufhängen gehabt haben. Herr Ackert bemerkt, daß ich stutze, und erklärt, daß dies die normale Weise der Aufbewahrung war. Wenn der Bergmann zur Arbeit kam, hat er seine saubere Straßenkleidung an eine Kette gehangen und diese dann in luftige Höhe gezogen. Weil die Sachen sauber waren, spricht man von der Weißkaue.
Weiter ging's dann nackend zur Schwarzkaue: Dort hingen die dreckigen Klamotten für den Schacht seit dem Vortag. Das ist ein Unterschied zwischen Industrie und Bergbau, betont Herr Ackert: In Industriebetrieben gibt es Schränke. Doch unter Tage schwitzte man viel stärker, so daß die triefnassen Arbeitssachen nicht in Schränken gelagert werden konnten. Nach dem Ausfahren aus dem Schacht zogen die Bergleute sich wieder aus und hängten ihre Kleidung auf die Schwarzkaue, wo sie in der Höhe per Belüftung über Nacht trocknen konnte. Dann wurde geduscht und die sauberen Sachen aus der Weißkaue angezogen.

Raffiniert, durch die räumliche Trennung von Schwarzkaue und Weißkaue war die Privatkleidung außerdem vorm Verschmutzen geschützt. In den Zeiten vor dem Vollwaschautomat muß das Wäschewaschen ohnehin die Hölle gewesen sein.
Damit nichts wegkam, gab es unten an den Ketten Schlösser, so daß jeder Bergmann nur an seine eigenen Sachen herankam.

Auf die Kaue kommt nur Kleidung, kein Gezähe. Gezähe? Was ist denn das? Herr Ackert erklärt: Gezähe nennt der Bergmann sein Werkzeug, also Schlägel, Eisen et cetera.

Wegen der Vielzahl der Begriffe aus dem Bergbau beschließe ich, ein kleines Wörterbuch der Fachbegriffe auf die Homepage zu setzen.

Wichtig sind die Helme:
Die gelben Helme trugen die Kohlenhauer und Streckenhauer unter Tage. An den blauen Helmen konnte man Schlosser und Elektriker auf einen Blick erkennen. Sehr praktisch, falls ein Schlosser oder Elektriker gebraucht wurde. Mitunter lebenswichtig waren die Träger der roten Helme: Das waren die Sicherheitshauer (über Tage nennt man sie Sanitäter).
Die weißen Helme waren den Aufsichtspersonen vorbehalten.
Über Tage trug der Bergmann in der Regel grüne Helme. Es hängen an der Kaue aber auch Helme anderer Farben. "Das sind Phantasie-Helme, die jeder für sich anschaffen und über Tage tragen kann", verrät Herr Ackert.

Für den Bergmann sehr wichtig: Das Notizheft aus der Revierstube. Wenn unter Tage ein Unfall passiert war, wurde alles notiert. Dadurch konnte man noch nach zig Jahren nachweisen, daß es tatsächlich bei der Arbeit geschehen ist, und eventuell Regreßansprüche geltend machen. Herr Ackert zeigt mir die altdeutsche Schrift. "Selbst beim kleinsten Unfall wurde alles fein säuberlich hier aufgeschrieben. Selbst wenn nur eine Fingerkuppe abgetrennt worden ist." (Weia, wenn mir die ein oder andere Fingerkuppe fehlen würde, könnte ich das hier wohl kaum so flott tippen …)

Da kommt gerade August Albrecht mit seiner Frau herein. Herr Albrecht ist Vorsitzender des Bergmännischen Traditionsvereins und die "gute Seele" des Museums. Mit vielen Helfern hat er das Museum aufgebaut, und auch heute noch herrscht reges Treiben: Im oberen Geschoß wird ein weiterer Raum zur Ausstellungsfläche umgebaut - das meiste in ehrenamtlicher Arbeit.
Wo kommen die Ausstellungsstücke denn her? Die meisten aus eigenem Besitz, denn die Mitglieder des Vereins waren ja fast alle selbst Bergleute. Vieles sind aber auch Leihgaben oder stammt aus Erbschaften.

Herr Ackert zeigt mir Signaltafeln. "Diese Signale muß jeder genau kennen, die müssen in Fleisch und Blut übergegangen sein." Klar, im Ernstfall unter Tage muß alles schnell gehen, die Lichtsignale müssen "sitzen", Aufsichtspersonen müssen kontrollieren, wieviel Leute auf den Korb gehen und ähnliches. Aufsichtsperson ist grundsätzlich ein Steiger.

Auf einem Regal liegen ein paar Holzscheite mit einem schmalen Einschnitt. "Holz wird natürlich nicht gefördert unter Tage. Dies ist der sogenannte 'Poppknötsch', auch 'Mutterholz' genannt." Wenn man auf das Holz schlägt, klappert es. Er wurde verbotenerweise oft als Anmachholz für den Ofen mit nach Hause genommen. Doch wehe: Es heißt, wenn der Poppknötsch zuhause nicht klapperte, hatte die Frau das Recht, ihren Mann des Ehebettes zu verweisen …

Zum Transport unter Tage gab es Dieselloks und E-Loks. Ein großer gelber Kasten auf Rädern vor mir ist nur die: Batterie. Sie hielt 24 Stunden.

Nun zeigt mir Herr Ackert etwas Kurioses, den "Bischofswagen", einen knallroten Schienenwagen von unter Tage. Mit diesen Wagen wurden die Arbeiter vom Schacht zum Arbeitsplatz gefahren. Das dauerte wegen des großen Streckennetz' mitunter 30 bis 45 Minuten.
"Einmal wollte der Aachener Bischof Hemmerle einfahren. Doch als er die Wagen gesehen hatte und sich hineinsetzen wollte, war ihm das zu eng." Also wurde der Wagen so umgebaut, daß zwei Personen bequem Platz darin gefunden haben. Normalerweise waren diese Wagen schmaler und man mußte zu viert darin sitzen. Ganz schön eng. Doch Herr Ackert wiegelt ab: "Das ging schon. Der Bergmann war eng gewöhnt. Wir haben sogar auf der Fahrt darin Karten gespielt."

"Kommen wir nun zum Gezähe." Was war das nochmal? Ach ja, Gezähe, alles was der Bergmann unter Tage brauchte. Herr Ackert läßt mich ein paar Kettenglieder anheben - du liebe Zeit, was ist das schwer! Und davon wurden mehrere 100 m unter Tage eingebaut.

Ich darf alles anfassen - Schlagschrauber, Sägen, Bohrer und mancherlei andere Gerätschaft, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe.
"Viele fragen, warum die Geräte luftbetrieben sind. Die Antwort: Unter Tage stehen manchmal Gase, da darf nicht überall mit elektrischem Strom gearbeitet werden." Sondern nur in Frischwettergebieten. Wieder ein Fachwort: Wetter nennt man die Luftführungen unter Tage. Doch diese kamen nicht überall hin, nur zu den Hauptstrecken im Streb. In die vorgebauten, nicht wetterführenden Strecken wurde nur mit Lutten (größeren Rohren) Luftbewegung gebracht.

Unter Tage gab es nicht nur Licht aus Strom, sondern auch aus Luft. Wo keine Frischwetter hinkamen, benutzte man Luftlampen. Höchst interessant, und doch im Prinzip so einfach: Durch kilometerlange Leitungen wurde Luft von über Tage zur Lampe gepreßt. Direkt an ihr befand sich ein Dynamo, der wie bei einem Fahrrad die nötige Energie erzeugte.

Die Telefone in den einzelnen Revieren unter Tage funktionierten mit Batterie. Allerdings hatten sie keine Wählscheibe. Es gab einen festgelegten Code: Per Drehklingel wurde geschellt. Wollte man mit der Kopfstrecke sprechen, drehte man einmal, für die Bandstrecke zweimal, für die Ladestelle dreimal und so fort.

Herr Ackert kündigt an, "nun kommen wir zum Streb." Streb heißt die abzubauende kohleführende Schicht, die man im allgemeinen Flöz nennt. Die Leute vom Museum haben tatsächlich auf der kompletten Giebelseite des Gebäudes einen Streb in Originalgröße nachgebildet!
Die Nachtschicht tränkte zur Staubbekämpfung den am nächsten Tag abzubauenden Bereich. Dazu wurde alle vier bis fünf Meter ein Loch gebohrt und ein Schlauch mit Wasser reingehalten.
Beim Streckenvortrieb wurden 40 bis 45 zwei Meter tiefe Bohrlöcher gebohrt, die der Schießmann (der Mann mit dem Dynamit) genau mit Munition besetzen mußte. Die Ladung wurde mit einem Schießkabel angeschlossen und die Bohrlöcher wurden mit Lehmpfropfen verschlossen. (Später nahm man wassergefüllte Kunststoffpfropfen - im Volksmund "Wasserpimmel" genannt, weil sie ganz ähnlich aussahen …)
Dann wurde die Ladung gezündet. Man hörte nur eine Explosion, in Wirklichkeit waren es drei kurz hintereinander: Zuerst der "Einbruch", denn die Kohle ist am weichesten, dann das "Liegende" und schließlich das "Hangende". Das Liegende nennt der Bergmann alles unter sich, das Hangende ist alles Gestein über seinem Kopf.

Unter Tage lag ein Verkehrswegegeflecht, ähnlich dem über Tage. Dabei entsprachen die Querschläge Hauptstrecken oder Bundesstraßen. Kopf- und Bandstrecken waren die Kreisstraßen.

Herr Ackert zeigt mir eine Sammlung Tabaksdosen. Rauchen unter Tage, wundere ich mich. Aber nein, es handelte sich um Schnupf- oder Kautabak, denn selbstverständlich durfte man unter Tage nicht rauchen.

Wir gehen in den Keller des Museums. Als die Leute vom Verein den Keller ausgeschachtet haben, fanden sie Knochen. Wissenschaftler stellten fest, daß es sich um die Gebeine der Mönche des alten Klosters handelte. In diesem Beerdigungskeller des Klosters wurden die Menschen etagenweise beerdigt. Nun lagern die Skelette in einem Sarkophag aus Römerzeit.
Beim Ausschachten wurde damals auch ein mysteriöser Gang entdeckt: Ein Geheimgang der Mönche, der wohl nicht über Engelsdorf zur Zitadelle nach Jülich führte, wie alte Legenden erzählen (sieben Kilometer durch lockeren Schwimmsandgrund technisch und kostenmäßig vor über 200 Jahren wohl kaum zu machen), sondern wahrscheinlich eher ein Fluchtweg der Mönche zur Kirche war. Wegen Einsturzgefahr ist er aber nun verschlossen.

Zuletzt zeigt Herr Ackert mir noch den geräumigen Saal des Vereins fürs gemütliche Beisammensein und Feiern - die Wände natürlich auch voller Vitrinen und Bilder.

In der Ecke steht ein Schrein mit einer Figur der heiligen Barbara, der Schutzheiligen der Bergleute. Warum wurde sie heilig gesprochen und warum ist sie für die Bergleute zuständig?
Der Legende nach soll es sie um 300 n. Chr. als schönes Mädchen traditionell heidnischen Glaubens häufig zu einer Gruppe Christen gezogen haben. Weil ihr Vater diese Verbindung zu den zu jener Zeit Christen verhindern wollte, ließ er einen Turm erbauen, in den er Barbara sperren wollte. Sie aber gestand ihm, bereits getauft zu sein. Daraufhin hatte der Vater seine Tochter zum Statthalter Roms, einem Christenverfolger, gebracht, wo Barbara gefoltert wurde. Dennoch soll Barbara durch ständige Wunder nicht gestorben sein und zu ihrem Christenglauben gehalten haben. Schließlich enthauptete sie ihr eigener Vater mit dem Schwert, kurz darauf traf ihn der Blitz.
Barbara ist eine der Vierzehn Nothelfer. Angerufen wird Barbara bei Blitzgefahr, außerdem ist sie Schutzheilige der Artilleristen, Bauleute, Köche, Waffenschmiede - und natürlich der Bergleute. Dargestellt wird sie mit Turm und Palme. An ihrem Namenstag werden die "Barbarazweige" (Kirschzweige oder Forsythien) geschnitten, die dann pünktlich zu Weihnachten blühen. Die Bergleute entzünden das Barbaralicht.

Mit der Anekdote, wie die Barbara ins Museum kam, beschließt Herr Ackert seine Führung: Zunächst stand sie halb versteckt in der Sakristei der katholischen Kirche. Öffentlicher wollte man sie dort nicht präsentieren, da sie laut Pfarrer "einen zu großen Busen hat". Ein gewitzter Bergmann sagte damals: "Herr Pfarrer, wir Bergleute mögen große Busen, geben Sie die Figur uns!" Die geforderten 500,- Mark waren schnell gesammelt …

Herr Ackert hätte mir noch viel mehr im Museum zeigen können. Und ich hätte noch viel mehr schreiben können. Wahrhaft eine Schatzkammer des Bergbaus. Doch am besten schaut man sich alles selbst einmal an.

 

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